Die (t)olle Wut

Warum hab ich nur so ne Wut im Bauch?

„NEEEEEIIIIIIEEEEEN!“ Er stampft mit den Füßen auf, er schreit sich die Seele aus dem Leib und wirft sich zu guter Letzt auf den Boden. An Unterricht ist nicht zu denken. Wenn man Pech hat, folgen noch weitere unschöne Aktionen und hinterlassen einen völlig erschöpften Schüler, eine aufgebrachte Klasse und eine urlaubsreife Lehrkraft.

Wut ist eine heftige Emotion. Wir alle kennen sie und nicht jede(r) kann sie kontrollieren. Die Frage, die ich in der Überschrift gestellt habe, ist so nicht von einem Kind formuliert, denn sie hinterfragen ihr Empfinden selten. Die Emotionen sind einfach da und kleine Menschen haben einen direkten Draht zu ihnen …Wenn die Wut kommt, leben einige Kinder sie einfach aus. Es kann eine impulsive und manchmal auch aggressive Reaktion folgen.

Das Kochtopf-Prinzip

Wenn die Wut hochkocht, dann kann sie überschäumen, den Deckel heben und eine Menge Schaden anrichten. Sie übernimmt die Kontrolle, denn Wut ist schwer zu beherrschen. Das kennen wir alle. Die Form des Ausbruchs ist unterschiedlich. Manche schreien, andere werden handgreiflich oder zerstören etwas. Mit diesen unbeherrschten Taten und dem unschönen Gefühl des Kontrollverlustes hat sich die Wut ihren Ruf ruiniert und so gilt sie als eine negative oder gar „schlechte“ Emotion. Doch Wut hat -wie alle Emotionen- ihre Berechtigung. Wichtig ist der Umgang mit ihr.

Ich möchte in diesem Beitrag pädagogische Fragen bedenken und Ihnen Impulse geben, wie man einen heißen Kochtopf namens Wut besser verstehen kann.

Die Wut ist gut?

Ich würde sagen, die Wut an sich ist nicht das Problem, sondern sie wird es erst, wenn sie als Mittel zum Zweck eingesetzt wird oder nicht den richtigen Kanal findet. Wir können einen gesunden Umgang mit der Wut pflegen, sie nicht verteufeln, sondern fragen:

Woher kommt die Wut? Was war der Auslöser, die Ursache?

Wut verbindet zwei Bestandteile: Energie und Aggression. Wenn ich das weiß, kann ich sie besser verstehen. Sie setzt Energie frei, die genutzt werden kann, um sich abzugrenzen, sich durchzusetzen, für seine eigenen Bedürfnisse einzustehen. Im Endeffekt geht es dabei immer um Veränderung. Wir wollen etwas verändern, was wir als falsch empfinden. Dazu gehören: Grenzen sprengen, Handlungsspielräume eröffnen oder der Wunsch nach mehr Selbstständigkeit. An sich sind das wichtige Rebellionsgründe für ein Kind. Doch: Kinder können ihre Wut (bzw. Emotionen an sich) oftmals kaum in Worte kleiden, geschweige denn kontrollieren. Hier kommen wir nun zur Aggression. Wenn Wut in Gewalt umschlägt, ist eine Grenze überschritten. Auch wenn es um Machtausübung geht, muss ich klare Kante zeigen.

Kinder im Grundschulalter sind geistig dazu in der Lage, Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken, auch mehrere Gefühle in einer Situation. Ein Beispiel: Ich erkenne, dass es mich traurig macht, nicht mitspielen zu dürfen und darunter mischt sich gleichzeitig die Wut, der ich nun (eventuell) die Bühne überlasse. Das zu erkennen und zu verbalisieren muss trainiert werden. Erst dann hat das Kind eine Wahlmöglichkeit und kann seine Emotionen besser steuern.

Gründe für Wut

Wenn Sie sich fragen: Woher kommt die Wut?, kann es verschiedene Ursachen geben: Ist sie entwicklungsbedingt (in der Autonomiephase /Trotzphase bei Kleinkindern im Alter von 2-5 Jahren) oder steckt ein weiteres Gefühl dahinter? Unter der Wut sitzen meist ganz andere Gefühle. Meist ist es die Angst.

Wenn Angst die Grundlage für die Wut ist, sind die Kinder in der Wutphase kaum zu erreichen. Ist der Durchsetzungswille der Antrieb, ebbt die Wut sofort ab, wenn sie ihren Willen bekommen haben.

Platt gesagt tun wir alles, was wir tun, um ein Bedürfnis zu befriedigen. Leider ist Wut dabei ein schlechter Partner. Denn oft genug bekommen wir genau das Gegenteil, was wir uns eigentlich wünschen. Der Wunsch nach Nähe, Geborgenheit und Verständnis erfüllt sich durch einen Wutanfall eher nicht.

Sehen, einfühlen, mitfühlen schulen in der Schule

Um Herr über seine Gefühle zu werden, steht ganz am Anfang die Empathie. Das Einfühlen in sich und andere macht es erst möglich, Gefühle zu verstehen und z.B. die Wut zu kontrollieren.

Herbert Stettberger hat vier Schritte formuliert, wie man im schulischen Kontext Empathie schulen kann. Der erste Schritt ist eine bewusste Wahrnehmung. Im Religionsunterricht kann ich mir die Zeit nehmen, um sich selbst und andere wahrzunehmen.

Wer ist mit mir hier? Wie geht es den anderen?

Um diese Fragen zu beantworten, muss ich verbale und nonverbale Signale verarbeiten: Dazu zählt die Wahrnehmung von Gestik, Mimik und Körperhaltungen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Aufbau eines Sprachwortschatzes, um meine Gefühle in Worte zu fassen. Mir gefällt der Begriff „Gefühlssprache“. Sie ist das Tor zu unseren Bedürfnissen. Kenne ich diese Sprache nicht und kann mich nicht gut ausdrücken, ist ein Kinnschwinger machmal die einfachste Lösung für das Problem …

Soziales Lernen basiert teilweise auf Imitation. So können Lehrpersonen oder Schüler*innen ein Vorbild sein und in ihrem Verhalten nachgeahmt werden. Aber Achtung: Es geht nicht um eine schnöde Kopie des Originals, sondern um ein reflektiertes Nachvollziehen. Auch hier ist das gemeinsame Gespräch wichtig, um zu hinterfragen und zu reflektieren.

Sollte ich die Möglichkeit eines Perspektivwechsels (z.B. durch Rollenspiele) erhalten, kann ich Handlungsmuster übernehmen und daran wachsen. Wichtig ist hierbei die Wiederholung (wirkt verstärkend) und immer wieder der gemeinsame Austausch und die Reflexion des Erlebten.

Was kann im Unterricht eingeübt werden?

Nach dem Modell von Herbert Stettberger

Handlungsmuster zu entwickeln gehört sowohl zum Prozess als auch zum Ergebnis der Schulung von Empathie.

Wut im Klassenzimmer

Leicht gesagt, ich weiß … Aber: Machen Sie sich klar:

Das Kind hat im Moment keine andere Idee, wie es mit der Situation umgehen kann.

Auch wenn der Ausraster des Zornnickels Ihre Aufmerksamkeit sofort benötigt: Das Wichtigste sind zuerst Sie selbst: Versuchen Sie ruhig zu bleiben („Ich nehme die Situation an. Es ist wie es ist.“ Atmen Sie tief ein und aus!). Diese 3 Sekunden sind Gold wert. Das Kind braucht Sie jetzt. Es braucht Halt, Orientierung und Ihre guten Nerven. Sie können ihm ein Vorbild sein. Fragen Sie sich: Tappe ich in die Falle und reagiere auf das Kind nur bei Ausrastern?

Jetzt erst kommt die Gefühlsbegleitung:

  • Bei impulsiver Wut: Das Kind aus der Situation nehmen, (z.B.) Raum verlassen. Dabei helfen: knappe, klare Sätze und ein ruhiges Zuwenden.
  • Fragen Sie sich (so blöd das jetzt auch klingt): Was ist die Botschaft hinter dem Wutanfall?
  • Spiegeln Sie die Gefühle des Kindes, beschreiben Sie, was Sie sehen: „Ich weiß, du hast dich sehr auf den Ausflug gefreut und jetzt bist du enttäuscht und wütend, dass …“ „Meine Güte, wer seinen Stift so in die Ecke schmeißt, muss wirklich sehr wütend sein. DU wolltest diesen Stift haben und das hat dich wütend gemacht“
  • Wichtig: Das Kind soll das Gefühl bekommen: „Ich sehe dich, nehme dein Gefühl wahr“. Manchmal hilft es auf Augenhöhe mit dem Kind zu gehen, manchmal braucht das Kind einfach noch Zeit für sich, um sich zu sortieren.
  • Natürlich ist Gewalt ein No-Go. Finden Sie vielleicht gemeinsam ein geeignetes Ventil für die Wut? (z.B. Wutenergie in Bewegungsenergie umsetzen)
  • Das Gefühl muss raus, bevor ein neues Gefühl reinkann. Die große Energie sollte Raum bekommen (auf angemessene Weise)
  • In der akuten Situation ist ein Gespräch sinnlos. Auch die Frage nach dem „Warum“ kann man sich sparen. Erst wenn die Wut abebbt, das Gespräch suchen. Das Kind kann jetzt versuchen, sich in seinen Wutgegner hineinzuversetzen: „Was fühlt er? Hat er auch Wut? Warum ärgert er mich immer so?“

Keine Frage, Sie sollen sich dem Willen des Kindes nicht beugen. Aber vielleicht schaffen Sie es, einen respektvollen Umgang und einen für beide Seiten zufriedenstellenden Umgang mit der Situation zu finden.

Thematisieren Sie die Wut, wenn sie momentan nicht da ist. Sammeln Sie Gefühlsworte, malen Sie die Wut, ein Wuttier, welche Farben passen, wo spürst du sie?

Schlachtplan

Haben Sie solch einen Zornnickel in Ihrer Klasse? Dann hilft Ihnen vielleicht der nun folgende Schlachtplan, den Sie in einer ruhigen Stunde mit Ihrem Schützling durchgehen können. Machen Sie klar:

  • Wir müssen versuchen, Phase ROT nicht zu erreichen!“ (siehe Download). Diese Formulierung macht sie beide zu Verbündeten.
  • Wenn es klappt, wird das Verhalten bestärkt (Verstärkerplan, Punkte sammeln oder einen kleinen Wunscherfüller z.B. ALLE dürfen 5 Minuten früher in die Pause – macht allen Spaß und stigmatisiert den Zornnickel in der Klasse nicht noch mehr)
  • Laminieren Sie den Schlachtplan und hängen ihn an prominenter Stelle auf. Nehmen Sie sich Zeit für Gespräche mit Ihrer Klasse. Wie geht ihr mit eurer Wut um? Kennt ihr die einzelnen Wellen der Wut? Wo verliert ihr die Kontrolle über sie? Versuchen Sie konstruktive Lösungsstrategien zu entwickeln: Was tun wir, wenn jmd. wütend ist? Wie könnte man Dampf ablassen? Soll es Wutbälle zum Knautschen, ein Schreikissen, eine Auszeitecke im Klassenzimmer geben?

Fazit

Ein Wutanfall kann ein lauter Hilfeschrei sein. Der gewählte Ausruck (Kind = Vulkan 2.0) ist für das Umfeld schwierig bis inakzeptabel. Um beim Kochtopf zu bleiben: Ich trete eher einen großen Schritt vom Kochtopf weg, als auf ihn zu. Aber das ist genau die falsche Richtung. Das Bedürfnis des Kindes ist eigentlich ein anderes. Dies in unserem vollen und stressigen Alltag, mit all den anderen Kindern und unseren Aufgaben, zu sehen, ist ein Kraftakt, der mal besser und mal schlechter gelingt. Aber hey, wir sind Menschen, keine Maschinen. Das sollten wir nicht vergessen. Manchmal hilft es sich bewusst zu machen, warum der Zornnickel zornt, um einen neuen Zugang zu finden. Aber bitte immer erst dann, wenn die Herdplatte abgekühlt ist!

Spiegelneuronen super erklärt!

(Sie sind notwendig für eigene Handlungsmuster siehe obere Grafik)

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