Oder: Kann nicht alles wieder so sein wie es war???
Trauern ist ein Prozess
… und nein … Es wird nicht mehr wie es einmal war. Punkt. Das muss erst einmal verdaut werden. Keiner will Trauer erleben, doch wir alle durchleben sie irgendwann.
Und dann sind diese semihilfreichen Supersprüche wie: „Die Zeit heilt alle Wunden“ oder „Die Erinnerung bleibt“ für keinen Trauernden hilfreich. Mein Kollege Michael Landgraf hat mich auf ein symbolhaftes Bild gestoßen, dass uns den Trauerprozess näher bringen und diesen ein wenig erklären kann: Die Wunde.
Meine Trauer wird dadurch nicht weniger schmerzlich, doch es wird klar, dass sie zum Leben dazu gehört und alle Gefühle, die sie hervorbringt, sein dürfen.
Die „Wunde“
Ich finde das Bild der Wunde sehr passend, denn wir alle haben uns schon verletzt und den (manchmal langwierigen) Heilungsprozess beobachtet. Denn das, was die „Wunde“ braucht, ist Zeit. Genau wie die Trauer.
Die Wunde ist da
Jeder Mensch steckt so eine Wunde anders weg. Manche leiden leise – andere laut und impulsiv. Ich habe da schon so manch unflätiges Wort „geäußert“ und war sehr froh, dass ich dabei allein war … Manchmal ist der Schock auch einfach zu groß, um überhaupt zu reagieren. Eine große Wunde braucht erst einmal Zeit, um als Information im Gehirn überhaupt anzukommen. Sie geht tief in das Innere hinein.
So ist es auch mit der Trauer. Zuerst ist man überwältigt und kann den Tod gar nicht fassen, geschweige denn verstehen. Meist ist dann auch viel zu erledigen. Wir sind in den Vorbereitungen für die Beerdigung und in den bürokratischen Mühlen gefangen. Vielleicht wollen wir den Tod auch einfach verdrängen, beiseite schieben.
Der Schmerz setzt ein
Dann, meist nach der Beerdigung, setzt der Schmerz ein. Eine Welle bricht über einem zusammen und überrollt uns. Dieser Schmerz kann auch ausbleiben – überdeckt oder verdrängt werden.
(Wie gesagt, diese Phasen sind nicht zum Abhaken gedacht.)
Jetzt kommt es darauf an, wie ich mit dem Schmerz umgehe: Will ich ihn teilen oder „die Wunde“ niemandem zeigen?
Hier hinkt nun der Vergleich – denn eine Wunde, die ich mir beim Sturz zugezogen habe, tut sauweh. Hier kommt keiner auf die Idee, nicht darauf einzugehen – so nach dem Motto: „Jeans drüber und weiter geht die lustige Fahrt“. Eine Verdrängung ist in solch einer schlimmen Verletzung nicht möglich. Aber die Versorgung der Wunde führt wieder auf die richtige Fährte: Nehme ich sie achtsam wahr? Kontrolliere ich ihr Aussehen, gehe zum Arzt und wechsle den Verband? …
Die Kruste
Krusten stören einfach! Viele knibbeln daran herum, wollen sie endlich los sein – und was passiert? Sie reißen auf und bluten erneut, was den Heilungsprozess verzögert. Ein eeeewiger Kreislauf entsteht …
Mit der Kruste ist es eben noch nicht vorbei. Hier können im Trauerprozess Gefühle jeder Art aufbrechen.
Manchmal kann man schon über den Verstorbenen reden, seine Hinterlassenschaften betrachten und dann, ganz plötzlich, reißt die Wunde wieder auf. Selten ist es aber so, wie zu Beginn, als die Wunde noch ganz frisch war.
Die Narbe
Die Kruste ist weg. Darunter ist die neue Haut – doch eben nicht wie vorher. Oft sieht man die Narbe ganz deutlich.
Doch die Haut ist nun wieder belastbar. Man kann mit mehr Normalität dem Alltag begegnen. Kein vorsichtiges Abkleben oder zartes Bewegen, um ein Einreißen zu vermeiden. Ich bin nun wieder aktiver unterwegs – aber ganz deutlich gezeichnet.
Ich weiß um die Geschichte der Narbe. Sie erinnert mich immer wieder daran. Ging die Wunde tief, wurden die verschiedenen Hautschichten nacheinander vernäht. Nur die äußere Narbe ist sichtbar – es gibt aber auch verdeckte Narben, die in den inneren Hautschichten liegen.
Bitte kein Druck!
Jeder trauert anders. Dieses Bild, dass den Umgang mit dem Tod in Phasen einteilt, steht immer in der Gefahr, alles zu vereinfachen, was gar nicht einfach ist. Der Tod ist nie einfach. Aber vielleicht hilft das Bild der Wunde, widersprechende Gefühle während des Heilungsprozesses anzunehmen und einzuordnen. Es zeigt: Trauer dauert eben, so lange es dauert.
Schwierig wird es nur, wenn der Schmerz nie vergeht.